Game over nach der Overtime?

Sport Austria: Szenario von kompletten Saisonausfällen denkbar
FOTO © Leo Hagen/Sport Austria
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Österreichs 15.000 Sportvereine erbringen nicht nur in ihren Sportarten beeindruckende Leistungen, sondern sind auch wichtig für Gesundheit, Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt. Die Coronakrise macht vielen von ihnen schwer zu schaffen. Zahlungen aus dem vom Nationalrat bereits beschlossenen 700 Millionen Euro-Hilfspaket werden ebenso sehnsüchtig erwartet wie praxistaugliche Konzepte zur Wiedereinführung von Spielbetrieben bzw. Wettbewerben. Inzwischen drohen Saisonausfälle, insbesondere von Hallen-Mannschaftssportarten. Um diese abzuwenden, sind in vielen Fällen nur noch rund zwei Wochen Zeit.

Finanziell befinden sich die Vereine längst in der Overtime!

Vereinsauflösungen oder Fusionen sind realistisch, Obleute befinden sich bereits in der privaten Haftung. Aktivitäten im Spitzen- wie im Breitensport, insbesondere in der Nachwuchsarbeit, sind gefährdet. Für viele könnte es bald „Game over“ heißen! Aus diesem Grund holte Sport Austria als Interessenvertretung des österreichischen Sports im Presseclub Concordia in Wien von der Coronakrise wirtschaftlich schwer betroffene Vereine vor den Vorhang, um ihre Schicksale stellvertretend für viele zu beleuchten.

Dass der Sportbetrieb per 16. März stillgelegt werden musste, war aus gesundheitspolitischer Sicht natürlich logisch und richtig, hatte aber für Vereine dramatische Folgen. Veranstaltungen, Meisterschafts- und Ligabetrieb, Vereinsfeste etc. konnten nicht stattfinden oder wurden abgebrochen. Damit fielen die Einnahmequellen neben Mitgliedsbeiträgen und Sponsoren weg. Keine Eintrittsgelder, keine Kantinenumsätze, keine Nenngelder – diese Einnahmenausfälle sind nicht aufzuholen, die Nachwirkungen insbesondere beim Sponsoring noch nicht abzuschätzen. Deshalb hatte Sport Austria ein Kraftpaket von mindestens 100 Millionen Euro als Soforthilfe angeregt. Hilfsgelder wurden auch bis Ende April zugesagt, tatsächlich gab es vom Bund bis dato keinen Cent. Aktuell werden noch Richtlinien ausgearbeitet.

Dabei laufen Fixkosten wie Miete/Pacht, Strom, Gas und Personal natürlich weiter. Da gemeinnützige Vereine abgabenrechtlich keine Gewinnerzielungsabsicht haben dürfen, können sie kein Eigenkapital aufbauen. Somit gibt es auch keine Rücklagen, um Kosten abzudecken. Auch wenn ein Verein Kurzarbeit angemeldet hat, ist teilweise noch kein Geld geflossen. Zur Vorfinanzierung fehlen die Mittel, Kredite für Vereine sind kaum bis nicht möglich. Ehrenamtliche sind in der privaten Haftung. Umso wichtiger ist es, dass es nun rasch zu Auszahlungen aus dem NPO-Hilfsfonds kommt.

Sport Austria-Präsident Hans Niessl: „Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten konstruktive Gespräche mit dem Sportministerium geführt, unser Know-How eingebracht, Kriterien entwickelt und sind dabei auch auf großes Verständnis gestoßen. Das war alles okay, jetzt ist aber keine Zeit mehr zu verlieren. Die Auszahlungen aus dem 700 Millionen Euro NPO-Hilfspaket müssen rasch erfolgen! Viele unserer 15.000 Sportvereine sind dabei finanziell auszutrocknen. Zwar wissen sie nun, wo es Wasser geben wird, aber leider noch immer nicht, wann es fließen wird. Auch so kann man verdursten!

Wir benötigen daher rasche Auszahlungen aus dem 700 Millionen Euro NPO-Hilfsfonds samt Entschädigung für Einnahmenausfälle sowie eine MwSt.-Senkung beim Ticketing von 13% auf 5% – wie bei der Gastronomie, der Kultur und den Medien. Außerdem braucht der gesamte Sport – also auch der Amateur- und Nachwuchsbereich – dringend eine Perspektive. Zwar sind Kontakt- und Kampfsport im Spitzensportbereich unter Einhaltung eines Präventionskonzepts seit 15. Juni prinzipiell wieder möglich, eine Umsetzung dieses Konzepts ist aber nach derzeitigem Stand praxisfern, da für viele schlichtweg zu teuer. Wenn es hier nicht bis Ende Juni eine offiziell kommunizierte, einfacher umzusetzende Perspektive gibt, besteht die realistische Gefahr, dass viele Ligen gar nicht mehr organisatorisch vorbereitet werden können!

Dann könnte es tatsächlich in vielen Sportarten zu einem totalen Saisonausfall kommen! Es gibt viele Beispiele aus Nachbarländern, wo bereits jetzt uneingeschränkt trainiert und Bewerbe gespielt werden können, ohne dass SpielerInnen vorher getestet werden müssen. Wobei freilich immer klar ist, dass bei einem eventuellen Wiederanstieg der Infektionszahlen gegengesteuert werden muss. Contact Tracing wäre im organisierten Sport jedenfalls einfach umzusetzen.

Der organisierte Sport hat in den vergangenen Monaten vieles erreicht: Nicht nur die Zusage für Auszahlungen aus dem 700 Millionen-Hilfspaket, sondern auch den Re-Start des Sportunterrichts in Schulen und die Wiederöffnung der Schulsportstätten für Vereine. Ebenfalls wichtige Punkte sind die Corona-Kurzarbeit für den gemeinnützigen Sport, die Corona-Regelung für die Pauschale Reiseaufwandsentschädigung und die Möglichkeit, dass auch Vereine mit angeschlossener Kapitalgesellschaft Corona-Hilfe beantragen können. Das alles ist gut und schön, aber um Österreichs Sport in gewohnter Weise am Leben zu erhalten, braucht es jetzt Auszahlungen und praxistaugliche Perspektiven für Spielbetriebe und Veranstaltungen.“

Marcos Nader, Profiboxer Boxclub Bounce – International IBF Middleweight Champion: „Wenn jetzt im Theater wieder Liebesszenen geprobt werden dürfen und in der Fußball-Bundesliga Mannschaftstraining sowie Zweikämpfe mit Körperkontakt erlaubt sind, sollte auch möglich sein, eine praxistaugliche Perspektive eines regulären Boxtrainings mit Kontakt möglich sein. Unsere Nachbarländer Deutschland, Tschechien, Slowenien und Ungarn trainieren wieder ganz normal. Wir laufen Gefahr ins Hintertreffen zu gelangen. Für uns Kampfsportler zählt jeder Tag, an dem wir damit wiederbeginnen können!“

Daniel Nader, Box-Bundestrainer, Boxclub Bounce: „Kampfsport, insbesondere Boxen, hat in den vergangenen Jahren in Österreich einen großen Aufschwung genommen. Der Boxclub Bounce, wie auch viele andere Clubs, sind Bestandteil einer gelungenen Integration. Ich appelliere daher an alle Verantwortlichen, es zu ermöglichen, dass wir unsere Bemühungen so rasch wie möglich fortsetzen können. Durch den Lockdown sind unsere Haupteinnahmequellen weggebrochen. Wir begrüßen daher den versprochenen Hilfsfonds und freuen uns auf eine Kontaktstelle, an die wir uns so schnell wie möglich wenden dürfen. Wichtig ist auch, dass wieder Sparrings und vor allem Wettkämpfe zugelassen werden.“

Miroslav Sraihans, Obmann 1. Simmeringer Sport Club: „Als österreichischer Traditionsverein, der im nächsten Jahr 120 Jahre alt wird, haben wir viele Höhen und Tiefen durchgestanden. So eine Situation hat aber noch niemand von uns erlebt. Wir brauchen die Unterstützung der Bundesregierung!

Durch den Lockdown wurde es unmöglich, Einnahmen zu lukrieren. Im Falle meines Vereins belaufen sich die finanziellen Einbußen auf bislang rund 61.000 Euro. Unsere monatlichen Fixkosten betragen rund 6.000 Euro, Ende Juni sind unsere finanziellen Möglichkeiten erschöpft – obwohl Trainer, Spieler und Mitarbeiter auf vieles verzichten. Es wird ohne Unterstützung sehr schwierig, den Verein zu erhalten. Die Planungsunsicherheit wirkt sich negativ auf das Sponsoring aus. Es gibt Absagen bzw. nur bedingte Zusagen, da die Firmen oft selbst zu kämpfen haben.

Fußballvereine tragen maßgeblich zur Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen bei, sind ein riesiger Wirtschaftsfaktor und leisten einen unbezahlbaren Beitrag bei Sozialisierung und Integration. Viele Sozialprojekte werden von Amateurvereinen durchgeführt. Das alles ist gefährdet, wenn nicht bald wirtschaftliche Unterstützung kommt. Die Vereine bauen auf die baldige Ausschüttung der Mittel und ersuchen das Ministerium nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen. Es brennt der Hut!“

Thomas Linzer, Präsident Unger Steel Oberwart Gunners: „Der seit vielen Jahren sowohl operativ als auch strukturell massiv unterförderte Sport wird aktuell in Österreich völlig ausgehungert. Abgesehen von Fußball, Skisport und mit Abstrichen Tennis hängen nahezu sämtliche Sportarten, wie z.B. Basketball, derzeit völlig in der Luft, da sowohl den betroffenen Verbänden, als auch den Vereinen Ressourcen, finanzielle Mittel und operative Möglichkeiten abhandengekommen sind, um aktiv tätig sein zu können.

Mit dem Lockdown Mitte März wurden Sportvereine teilweise völlig lahmgelegt. Gesperrte Sportanlagen, Einnahmenverluste in den Bereichen Ticketing, Werbung und Sponsoring führen hunderte Vereine in den wirtschaftlichen Ruin, zumal Sportvereine naturgemäß über geringfügige bis keine Liquiditätsreserven verfügen und bis zum heutigen Tage keine einzige Corona-Hilfsmaßnahme bei den Sportvereinen angekommen ist. Hunderte Vereine stehen formell kurz vor der Insolvenz, formaljuristisch sind vermutlich schon viele Vereine insolvent! Ehrenamtliche Funktionäre haften mit ihrem Privatvermögen! Sportvereine brauchen daher eine unbürokratische Soforthilfe in den nächsten Tagen, eine nachhaltige Aufbauhilfe als Ersatz für fehlende Sponsor-Einnahmen in den nächsten ein bis zwei Jahren und Planungssicherheit im Hinblick auf den Beginn der Meisterschaften 2020/21!“

(im Auftrag von Sport Austria)

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